Die Schieferbrücher


Die Hölzer im oberen Frankenwald waren im Besitz der Bauern, bedeuteten oft den ganzen Reichtum der Bauern, wie eben jedes echte Bauerngut mit etlichen Tagwerk Wald ausgestatten sein musste.

Um die Höfe der Waldbauern zu bewirtschaften, verdingten sich Burschen und Mädchen aus dem Dorf bei den „Herren“.

Wer von den Reichenbachern einen Gemeindeteil sein Eigen nannte und sonst nur Felder und Wiesen, dazu im Stall ein paar Stück Hornvieh, etwas Kleinvieh und „Geziefer“ hatte, galt noch als Landwirt.

Die Gütler nannten nur wenige Tagwerk Feld und Wiesen ihr Eigen, dazu eine Kuh und etliches Kleinvieh. Von den Erträgen des kleinen Besitzes ernährte sich die Familie des Gütlers so schlecht und recht.

Die „kleinen Leute“ in Reichenbach mussten sehen, wie sie sich durchschlagen konnten. Sie wohnten zur Miete in einem Bau, meist über den Schweine- und Hühnerställen, oder im Tropfhaus eines Bauerngutes. Den Zins für die Unterkunft dienten sie als Dungleute, Waldarbeiter und Taglöhner ab. Dort standen sie ihrem „Herren“ ach in Kost.

Nun lebten im Dorf noch eine Menge Leute, reich an Kindern und arm an Besitz und Habe, die Schieferbrücher. Sie hatten seit Generationen im Schieferbruch um Arbeit nachgefragt und sich gewinnen lassen.

Es war eine wirkliche Leistung, bei zehnstündiger Arbeitszeit im Sommer und im Winter früh um 7 Uhr im Raum oder in der Hütte, auf dem Kießlich oder auf dem Alten Berg als Raum- oder Hüttenmann zu schaffen.

Die Schieferbrücher hatten einen langen Weg in den Bruch und wieder heim. Im späten Herbst, den ganzen Winter und noch im zeitigen Frühjahr häuften sich die Wochen, in denen die Schieferbrücher nur an den Sonn- und Feiertagen ihr Dorf im Tageslicht sahen. An den Arbeitstagen machten sich die Männer im Dunkeln der langen Nächte und beim fahlen Schein ihrer Windlichter auf dem Weg zum Bruch. Nach Feierabend sammelten sie sich zum Heimmarsch. Auf dem Buckel den leeren Rucksack mit dem Kochgeschirr, in der einen Hand den Stecken und in der anderen Hand die Schieferbrücherlampe, keine Grubenlampe, sondern eine einfache Laterne mit einer Talgkerze.

So stapften sie einer hinter dem anderen zum Rennsteig hinauf und durch das Holz wieder bergab, dem Dorfe zu. Sobald der erste Schnee gefallen war und in den nachfolgenden Wochen bis weit in den April hinein taten sich die Marschkolonnen, die aus dem Dorf und aus dem Bruch kamen, sehr schwer, in lockeren Reihen durch den Schnee zu waten. Abwechselnd musste immer ein andere an die Spitze und dort Bahn machen. Eine echte kameradschaftliche Leistung.

Die Schieferbrücher brauchten schon viel Zeit und Kraft, ehe sie in ihren Hütten und Räume kamen.

Der Stein, so wurde der rohe Schiefer genannt, war kalt, hart, glatt und scharf, das Gezähe wurde unhandlich schwer. Die Raumer machten im Winter viel durch und in den Spalthütten herrschten auch winterliche Grade. Es war schon ein harter Beruf, Schieferbrücher zu sein!

Wie gut, dass der Koch in seiner Bude, einer ganz einfachen Baracke, in der die Schieferbrücher Neun-Uhr und Mittag machten, beim Aufkochen der von den Männern mitgebrachten Hausmannskost in den Kochgeschirren und „Essenstrageimerchen“, eine wohltuende Mahlzeit richtete.

In Anbetracht dessen war es gar nicht so unklug und abwegig, dass zu Beginn und zur Mitte des vorigen Jahrhunderts die Reichenbacher Schieferbrücher mit den Vorstellungen spielten, dass auch auf den Fluren der Reichenbacher Bauern abbauwürdige und gewinnbringende Schieferlager zu muten wären.

So ging es um die Schiefersuche in der Gemeinde, als der Gemeindevorsteher Johann Hertel, Reichenbach 41, im Jahre 1849 die Gemeindemitglieder zur Versammlung lud, was nachfolgende Niederschrift aufzeigt. (Abschrift vom Original)


Praes.                                        Geschehen
Der Gemeindeausschuss     Reichenbach, den 10ten Oktober 1849

Und die Gemeindemitglieder

                       Nach vorhergegangener Ladung durch den Gemeindediener versammelten
                       sich sämtliche Gemeindeglieder bis auf drey:
                       1. Johann Schneider Kaim
                       2. Kunigunda Hoderlein
                       3. Michael Stumm, Luxenmichel.
                       Es wurde hierauf den Gemeindegliedern die hohe Regierungsentschließung vom
                       25. September 1849 bekannt gemacht, und darüber berathen und beschlossen
                       wie folgt:
                       1. Jedes Gemeindeglied ist verpflichtet, wenn es verlangt wird, auf seinen
                          Güttern, Versuche zum Schiefersuchen anstellen zu lassen.
                       2. Hierfür wird ihm eine Entschädigung, nach dem Maße des ruinierten Landes,
                          nach den bestehenden Bergwerkgesetzen
                       3. Für frühere Versuche wird nichts entschädigt.
                       4. Die Arbeiten werden unter Controlle der Gemeindeverwaltung getrieben.
                       5. Der etwa entstehende Schieferbruch wird Gemeinde Eigenthum.
                       6. Besitzer des Grundstückes auf dem der Versuch angestellt wird, hat die oben
                           erwähnten Entschädigung abgerechnet, keinen Anspruch auf den Verlust und
                           Gewinn den der Schieferbruch bieten könnte.
                       7. Weitere Betriebsgesetzte werden erst bei der Eröffnung berathen und
                           beschlossen.
                       Nachdem vorstehender Beschluß zu Papier gebraucht war, wurde er von Hs Nr.1
                       angefangen bis zu Hs Nr. 50 jeder Einzelne um seine Meinung gefragt und    
                       aufgefordert, ob er mit diesem Beschluße in Form und Inhalt zu frieden sei oder
                       nicht, worauf Jeder mit „Ja ich bin zufrieden“ antwortete.
                       V.g.u.
                       Hertel Vorsteher
                       Georg Neubauer Bevoll
                       Görg Förtsch Pfleger
                       Jacob Bevoll                                                  M. Schneppes Gdschbr.

Sie bemaßen dabei nicht, daß der Rennstein, aufgrund der geologischen lage, zugleich auch die Vorkommen des Schiefers nach Menge und Güte teilt.

Schieferbrücher als "Raumer" im Tagebau

Trotzdem machten sie sich in Reichenbach daran, in den östlichen Flurbezirken, im Finsterbach und Reppich, in den Schwarzen Sutte und im Dober die felsigen Kuppen und die steinigen Wände aufzubrechen und nach Schiefer zu schürfen. Aber alle Schürfungen und Grabungen brachten nichts zu Wege, die Arbeiten wurden eingestellt. Die Schieferbrücher gingen wieder der Arbeit in den Lehestener Brüchen nach.

Aus den Reihen dieser Schieferbrücher setzten sich dann 1903 die sieben Gründungsmitglieder des Arbeiter-Unterstützungs-Vereins Reichenbach zusammen.

Nach dem Jahre 1933 gebot es das Ansehen der Schieferbrücher seinen Beruf, trotz seiner Härte, so aufzuwerten, dass er neben den Kollegen vom Kohlebergbau bestehen konnte. So wurde aus dem Schieferbrücher der Schieferwerker.

Im 2. Weltkrieg wurden die Schieferbrüche in Thüringen durch die vielen Dienstverpflichtungen leer und die Hohlräume und Stollen füllten sich mit fremden Leuten, keine Schieferbrücher, welche an deren Arbeitsplätze gestellt wurden. Die Schiefergewinnung stockte.

Nach 1945 blieben die Reichenbacher Schieferbrücher in weiser Voraussicht ihren bisherigen Arbeitsplätzen fern, um die Entwicklung der Dinge und der neuen Herren abzuwarten.

Um nicht arbeitslos zu werden, ließen sich einige Schieferbrücher von Reichenbacher Privatleuten zur Arbeit in den nahegelegenen Schürflöchern und Versuchsstollen anwerben oder versuchen in eigener Rechnung Schieferlager erschließen zu können.

So auch auf einer alten Halde, d. h. auf der „Alten Wies“ des Bauern August Schnappauf, Reichenbach 34, im Finsterbach, wo schon vor vielen Jahren der „Fehnasepper“, der Landwirt und Schieferbrücher Joseph Förtsch, Reichenbach 26, und der Gütler und Schieferbrücher Johann Neubauer, Reichenbach 63 ½, nach Feierabend ein paar Schiferscherben ausgegraben hatten, um daraus Schultafeln zu schneiden und zu rahmen, meinte man brauchbaren Stein zu finden.

Eine kleine Mannschaft unter ihrem Vormann Johann Neubauer, genannt „Babelhann“, Reichenbach 109, nämlich die Schieferbrücher Georg Schnappauf, Haus-Nr. 132, Josef Schnappauf, Haus-Nr. 83, Johann Neubauer, Haus-Nr. 135, Johann Neubauer, Haus-Nr. 113, Johann Daum, Haus-Nr. 136, Andreas Schnappauf, Haus-Nr. 85, Konrad Schnappauf, Haus-Nr. 114 und Johann Hoderlein, Haus-Nr. 119, machten sich an den Abbau eines kleinen Schieferlagers an der „Alten Wies“ und gewannen auch etliche Zentner Schiefer, die als Dachschiefer zugerüstet und abgesetzt wurden.

Der erwartete Erfolg blieb den emsigen Leuten versagt. Also versuchte die gleiche Mannschaft im Revier des Bauern Georg Rech, Haus-Nr. 41, am Franzosenbruch einen neuen Einbruch in das alte Schieferlager.

Der Schiefer aus diesem Loch war erstaunlich besser als an der Halde bei der „Alten Wies“. Da aber die gesamte Mannschaft nicht gleichzeitig auf kleinstem Raum schaffen konnte, teilte man sich gütlich. Die andere Partie begann für August Schnappauf und Artur Schreiter im Reppich, d. h. am Dobersgrund, einen alten Stollen zu erschließen. Dies geschah im Frühjahr 1947 und brachte nichts ein.

Im September 1947 gesellten sich der alten Mannschaft noch Georg Zipfel, Johann Eichhorn und Johann Zipfel zu und gruben im „Kounzenholz“, im Wald des Josef Rosenberger, Reichenbach 30, nach Schiefer. Die Ausbeute war spärlich und die Güte der Schieferscherben gering. So ging auch diese Rechnung nicht auf.

Da erschien am 12. Juli 1948 an der Gemeindetafel ein Anschlag des Lehestener Schieferbruches mit der Ankündigung, dass ehemalige Schieferarbeiter des Staatsbruches in den VEB Schiefergruben Lehesten jederzeit wieder Arbeit finden. Den Übergang hinter der Ziegelhütte sollten sogenannte kleine Grenzüberschrittsscheine ermöglichen.

Aus dem Dorf meldeten sich zunächst 8 alte Schieferbrücher. Im März 1949 hatte sich die Belegschaft der VEB Schiefergruben Lehesten schon um 60 Mann aus Bayern verstärkt. Der Zustrom alter Schieferbrücher aus Bayern hätte bestimmt angehalten, wenn nicht am 26. Mai 1952 die Grenze nach Bayern geschlossen worden wäre. Die „Brücher“ waren wieder einmal arbeitslos.

Wer nicht stempeln wollte, suchte wieder das Gezähe her und pickelte in einem alten Loch nach Schiefer. Hinten im Dobersgrund bei Körnersmichels, d. h. beim Bauern Georg Hertel, Reichenbach 38, fing man wieder an zu schuften.

Schon 1952 hatten sich die Abgeordneten und der Landrat des Landkreises Kronach mit der Gesellschaft zur Auffindung von Bodenschätzen (GAB) in Verbindung gesetzt, um im Dobersgrund einen Versuchsstollen zu treiben. Die Maßnahmen wurden genehmigt und ein neues Arbeitsfeld schien sich unseren Schieferbrüchern zu eröffnen. In der Zeit vom 16. Februar 1952 bis zum 27. Januar 1956 wurde der Versuchsstollen durch die Gewerkschaft Brück mit Unterstützung der GAB betrieben. Aber kaum hatte der Stollen eine Länge von ca. 250 m erreicht, wurden die Arbeiten eingestellt. Die Mittel waren verbraucht.

Zum Ende des Jahres 1954, die Arbeiten im Dobersgrund waren also noch voll im Gange, wurde erneut für den Arbeitseinsatz bayerischer Schieferarbeiter in den VEB Schiefergruben Lehesten geworben und verhandelt und am 10. Januar 1955 konnten 30 bayerische Raumleute ihre Arbeit wieder aufnehmen. Nach und nach wurden weitere Schieferbrücher eingestellt und bald belief sich die Belegschaft aus Bayern auf 120 Arbeiter.

Ab dem 4. November 1955 wurde durch den Omnibusunternehmer Johann Neubauer aus Tschirn ein Linienbusbetrieb zum Schieferbruch eingerichtet, natürlich mit Genehmigung und auf Anregung der VEB Schiefergruben Lehesten. Das gefiel den Schieferbrüchern sehr. Nun brauchten sie doch nicht mehr bei Wind und Wetter zu Fuß in den „Bruch“ gehen. Der Omnibus fuhr zuerst nur bis zum Schlagbaum, später, erstmals am 30. November 1955, bis in den Schieferbruch.

Am 11. September 1961 legte man den bayerischen Arbeitern nahe, ihren Wohnsitz in Bayern aufzugeben und mit ihren Familien nach Thüringen zu übersiedeln. Alle lehnten ab und blieben hier.

Am 15. September 1961 kehrten die Schieferbrücher letztmals von Ihrer Arbeitsstelle zurück. Sie hatten sich zuvor von ihren Arbeitskollegen aus Thüringen verabschiedet. Hinter ihnen schloß sich der „Eiserne Vorhang“ für Jahrzehnte.

Erst die geschichtsträchtigen Ereignisse aus dem Jahresende 1989 machten es wieder möglich, die Grenze von Bayern nach Thüringen und zurück zu überschreiten. Seit dem 16. Dezember 1989 ist auch der Grenzübergang an der Ziegelhütte wieder offen. Der Weg nach Lehesten und den dortigen Schieferbrüchen ist wieder zugänglich. Doch die Schieferbrücher von Reichenbach und deren Arbeit, ein fast unerschöpfliches Thema, gibt es nicht mehr. Die alten Schieferbrücher leben von ihrer Knappschaftsrente. Die jungen Leute streben anderen Berufen zu.

Schieferbrücher als "Hüttenleute" in der Spalthütte